Stellungnahme der Pressestelle der Justiz im Zusammenhang mit dem Revisionsverfahren „LuxLeaks“ vom 23.11.2017

Mit Datum vom 21. November 2017 hat Herr Sven Giegold, Mitglied der Grünen Fraktion im Europaparlament und Sprecher der Europagruppe Grüne auf seinem Blog ein Schreiben veröffentlicht mit dem Titel:
"Luxemburger Berufungsverfahren gegen PERSON1): Tiefpunkt der Gerechtigkeit".
In seinem Schreiben bezeichnet Herr Sven Giegold das „Berufungsverfahren gegen PERSON1)“ als einen „grotesken Tiefpunkt der Gerechtigkeit“. Er kritisiert es sei „schlicht falsch, dass das Gericht in seinem Urteil behauptet, die von PERSON1) und PERSON2) aufgedeckten Steuervorbescheide wären legal“ und es sei „unverschämt, Whistleblower nicht nach dem überragenden öffentlichen Interesse ihres Handels zu beurteilen“, sondern „stattdessen reine Absichten der Whistleblower„ zu fordern, „was angesichts des aufgedeckten Steuerdumpings völlig unangemessen“ sei.

Die Pressestelle der Justiz stellt in der folgenden Mitteilung sachliche Unrichtigkeiten und Ungenauigkeiten, die im Schreiben von Herrn Sven Giegold enthalten sind, klar:

- Am 23. November 2017 findet kein „Berufungsverfahren gegen PERSON1)“ statt:

  • Die an diesem Tag angesetzte Verhandlung hat keine Berufung zum Gegenstand, sondern eine Revision des, am 15. März 2017, ergangenen Berufungsurteils des Luxemburger Berufungsgerichts in den Strafverfahren gegen PERSON1) und PERSON2). Zweck einer Berufung ist es, auf Grund einer neuen Tatsachenbewertung, zu entscheiden ob ein Angeklagter der von einem erstinstanzlichen Gericht verurteilt oder freigesprochen wurde schuldig oder unschuldig ist im Sinne der Anklage. Zweck einer Revision ist es zu entscheiden ob ein Berufungsurteil etwaige Rechtsfehler beinhaltet. Das Revisionsgericht (in Luxemburg: die „Cour de cassation“) bewertet keine Tatsachen und entscheidet nicht ob ein Angeklagter schuldig oder unschuldig ist im Sinne der Anklage. Ein Revisionsverfahren ist kein erneuter Strafprozess und kein zweites Berufungsverfahren.
  • Das am 23. November 2017 verhandelte Revisionsverfahren wird nicht „gegen PERSON1)“ geführt. Es wird, im Gegenteil, auf Antrag der im Berufungsprozess verurteilten Angeklagten PERSON1) und PERSON2) geführt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat keine Revision gegen das Berufungsurteil eingelegt.

- Das Berufungsgericht hat in seinem am 15. März 2017 ergangenen Urteil, welches   Gegenstand der, am 23. November 2017 verhandelten, von den Angeklagten angestrebten Revision ist, nicht „behauptet, die von PERSON1) und PERSON2) aufgedeckten Steuervorbescheide wären legal“:

  • Es hat, ganz im Gegenteil, und im Gegensatz zum erstinstanzlichen Urteil des Bezirksgerichts Luxemburg vom 29. Juni 2016, festgestellt dass die mit Hilfe von PERSON1) und PERSON2) aufgedeckten Steuerpraktiken Informationen von allgemeinem Interesse darstellen von denen die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse hat aufgeklärt zu werden. Es hat, im Gegensatz zum erstinstanzlichen Urteil, welches noch festgestellt hatte dass die besagten Praktiken rechtmäßig seien, die Frage der Rechtmäßigkeit offengelassen mit der Begründung dass diese Frage im Hinblick auf den Schutz der „Whistleblower“ durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg ohne Belang ist. Es ist folglich sachlich unrichtig festzustellen das Berufungsgericht habe „behauptet, die von PERSON1) und PERSON2) aufgedeckten Steuervorbescheide wären legal“.

- Was die Behauptung betrifft, das Berufungsgericht habe die „Whistleblower nicht nach dem überragenden öffentlichen Interesse ihres Handelns“ beurteilt, sondern stattdessen „reine Absichten“ gefordert, so ist folgendes klarzustellen:

  • Das Berufungsgericht hat PERSON1) auf Grund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betreffend den Schutz von „Whistleblowern“ freigesprochen vom Anklagpunkt des Geheimnisverrats bei Gelegenheit der Übergabe der von ihm entwendeten Daten an den Journalisten PERSON3), dessen Freispruch auch vom Berufungsgericht bestätigt wurde.
  • Das Berufungsgericht hat jedoch zurückbehalten dass PERSON1) zum Zeitpunkt der Entwendung der Daten bei seinem Arbeitgeber, mehrere Monate vor der Übergabe der Daten an den Journalisten PERSON3), noch nicht beabsichtigte diese zu veröffentlichen oder sie entwendete um auf einen Missstand hinzuweisen. Das Gericht stellt im Gegenteil fest, dass PERSON1) die Daten lediglich aus beruflichen Gründen entwendete und erst in den folgenden Monaten zum Entschluss kam sie zu veröffentlichen. Da das Berufungsgericht folglich feststellte, dass die Entwendung der Daten nicht in der Absicht eines „Whistleblowings“ erfolgte, konnte sie diesbezüglich den Schutz des „Whistleblowers“ nicht anwenden.
  • Die kritisierte Forderung der „reinen Absichten“ ist, in diesem Zusammenhang keine Neuschöpfung des Berufungsgerichts, sondern folgt den Vorgaben der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, laut der der Schutz der Meinungsfreiheit den Gebrauch, oder wenigstens den Willen zum Gebrauch, der Meinungsfreiheit voraussetzt.

- Das Berufungsgericht war, wie jedes Gericht, gehalten nach herrschenden Gesetzen zu richten. Der nach jetzigem geltendem Recht anwendbare Schutz der „Whistleblower“ ist derjenige welcher von der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorgegeben wird. Das Berufungsgericht hat sich bemüht diese Vorgaben einzuhalten. Ob diese Vorgaben eingehalten wurden, wird das Revisionsgericht und gegebenenfalls der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte feststellen müssen. Ist es diesbezüglich sachgemäß dem Berufungsgericht vorzuwerfen durch sein Urteil einen „grotesken Tiefpunkt der Gerechtigkeit“ beschritten zu haben?

 

21. November 2017 - Blog von Herrn Sven Giegold:

"Luxemburger Berufungsverfahren gegen PERSON1): Tiefpunkt der Gerechtigkeit"

An diesem Donnerstag, den 23. November, beginnt das Berufungsverfahren von PERSON1) und PERSON2) vor dem Luxemburger Oberlandesgericht. PERSON1) will das gegen ihn verhängte Urteil mit der Begründung anfechten, dass er mit ehrlicher Absicht handelte. Der ehemalige Mitarbeiter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (...) hatte gemeinsam mit PERSON2) und dem Journalisten PERSON3) 2014 den sogenannten Luxleaks-Skandal aufgedeckt. Erst das Bekanntwerden von Steuerabsprachen Luxemburgs mit hunderten Unternehmen bewog die Europäische Kommission und Mitgliedstaaten dazu, den Kampf gegen Steuerdumping endlich anzugehen. Das Urteil vor einem Jahr gegen Deltour lautete sechs Monate auf Bewährung und 1500 Euro Geldstrafe. Wenn die Berufung vor dem Luxemburger Oberlandesgericht scheitert, bleibt Deltour und Halet der Weg vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

 

 

 

 

 

 

Die bevorstehende Berufungsentscheidung beurteilt Sven Giegold, der wirtschafts- und finanzpolitische Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament:

“Das Berufungsverfahren gegen PERSON1)  ist ein grotesker Tiefpunkt der Gerechtigkeit. Die Urteile gegen PERSON1) und PERSON2) sind doppelt skandalös. Erstens: Es ist schlicht falsch, dass das Gericht in seinem Urteil behauptet, die von PERSON1) und PERSON2) aufgedeckten Steuervorbescheide wären legal. Die Steuervorbescheide waren jedoch nicht nur illegitim, sondern auch illegal, denn sie verletzten vielfach europäisches Beihilferecht und europäisches Steuerrecht. Zweitens: Es ist unverschämt, Whistleblower nicht nach dem überragenden öffentlichen Interesse ihres Handelns zu beurteilen. Das Gericht fordert stattdessen reine Absichten der Whistleblower, was angesichts des aufgedeckten Steuerdumpings völlig unangemessen ist. Wer Milliardenschäden am Gemeinwohl abwendet, darf nicht bestraft werden, weil im Moment der Datenbeschaffung möglicherweise auch andere Motive bestanden haben. Für ihren Einsatz für das Gemeinwohl haben die Whistleblower einen Freispruch und Schutz verdient. Das Luxemburger Gericht kriminalisiert Zivilcourage.

Der Fall PERSON1) zeigt beispielhaft, warum wir unverzüglich einen wirksamen Schutz von Whistleblowern brauchen. Bis heute hat Luxemburg keine Reform des Schutzes von Hinweisgebern vorgelegt. Versprechungen der Regierung ruhen derweil. Immer noch fehlt es an einem Schutz für Whistleblower aus dem privaten Sektor. Auch in Deutschland ist ein umfassendes Whistleblower-Schutzgesetz überfällig. Die EU-Kommission hat immerhin nach jahrelangem Druck einen Gesetzentwurf für das nächste Jahr angekündigt. Wir werden nicht ruhen, bis Whistleblower überall in Europa wirksam geschützt sind.”

 

 

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